"Luther und das Wort"

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Ehmann: Luther und der Islam

 

Am 05. Juli 2017 hielt Herr Prof. Dr. Ehmann im Rahmen der Ringvorlesung des kulturwissenschaftlichen Kolloquiums „Luther und das Wort“ einen Vortrag mit dem Titel „Luther und der Islam“. In dieser Kurzabhandlung der politischen wie religiösen Perspektiven Luthers auf den Islam und im Speziellen auf das osmanische Reich, wurde die Position Luthers in seinen zeit- und quellenhistorischen Kontext gestellt. Denn fast sein ganzes Leben war Martin Luther mit der militärischen Bedrohung des Reiches durch die Osmanen („Türken“) konfrontiert und hat in dieser Krisensituation auch sein Islambild entwickelt.

Das bedeutet, dass Luther nur einen sehr schmalen Einblick in die islamische Geschichte erhalten konnte und sich in seinen Ausführungen zu „den Türken“ und „dem Islam“ vor allem auf seine Erfahrungen mit dem osmanischen Reich im 16. Jahrhundert beziehen. Weshalb betont sein soll, dass die Bedrohung der Türken nicht das Wesen des Islams auszeichnen kann und die Äußerungen Luthers immerhin 500 Jahre alt sind. Zumal Luther begrifflich nicht unterscheidet zwischen Türke, Muslim und Osmanen. Erst die militärische Bedrohung und die virulente Türkenfrage im Reich ließen Luther in seinem Spätwerk überhaupt in dieses Themenfeld „hineinstolpern“. Nachdem nämlich Ungarn von den Türken geschlagen wird und diese 1529 vor den Toren Wiens stehen, ist das osmanische Reich nicht einfach nur Nachbar oder gar Freund, sondern die zentrale Bedrohung des Heiligen Römischen Reiches Deutschen Nationen. Und so entstehen auch alle Türkenschriften Luthers am Ende der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts.

Dieser historische Zugang zum Verständnis Luthers ist wichtig, wenn damit allerding auch nicht die aktuelle Relevanz der Luther´schen Ausführungen negiert werden soll. Denn nach wie vor bietet Luther Orientierungspunkte für die aktuelle Zeit und dies auch über die protestantische Theologie hinaus. Denn die Anfragen die Luther an den Islam heranträgt, sind heute erneut in der Debatte zum westlichen Umgang mit dem Islam wiederzufinden. Ehmann geht es dabei, um eine klar dialogische Auseinandersetzung und er möchte den Äußerungen Luthers über den Islam deshalb in religionswissenschaftlicher Sachgemäßheit begegnen  (Ehmann, 2015, S. 73).

Der Islam wird für Luther immer verkörpert durch Mohammed. Diesen geht Luther aus verschiedenen Perspektiven hart an und polemisiert heftig. Ehmann (2015) geht in seiner Habilitationsschrift Luther, Türken und Islam explizit auf Luthers Darstellungen von Mohammed als „Der Grobe“ (ebd., 159f.), als „Der Narr“ (ebd., 160ff.) und als „Die faustische Gestalt“ (ebd., 162ff.) ein. Diese Polemik weitet sich dann auch auf die Türken an sich aus, die Anhänger einer schwärmerischen Religion seien und den auf der Inkarnation gründenden christlichen Glauben verachten und bekämpfen würden. Der Islam gilt ihm als Sammelbecken altkirchlicher Häresien und Ausbund zeitgenössischer Irrlehre, deren augenscheinliche Unvernunft sich selbst entlarvt (vgl. Ehmann, 2015, S. 449).

Und trotz dieser aus heutiger Sicht wohl politisch wie religionswissenschaftlich völlig inkorrekten Aussagen, wirft Luther Fragen auf, die wir auch heute noch stellen dürfen und müssen. Dabei ist vor allem die Zwei-Reiche Lehre Luthers herauszustellen. Diese Lehre kulminiert in Luthers zunächst schwer einzuordnenden Aussage: „Wer gegen den Türken stretiete, der stretiet gegen Gott“. Denn wenn ein Kreuzzug religiös motiviert gegen Ungläubige geführt werden soll, ist das für Luther ein Götzendienst. Gegen militärischen Widerstand hat Luther dagegen nichts einzuwenden. Aber er positioniert sich klar gegen einen „Krieg gegen die Ungläubigen“. Vielmehr identifiziert er die unbußfertige Christenheit mit den Türken. Nicht kämpfen also Gläubige gegen Ungläubige, sondern mohammedanische gegen christliche Ungläubige (s. Ehmann, 2015, S. 445). Für Luther ist klar, dass nur die Buße vor Gott allein, Gott gnädig stimmen kann. Diese Aussagen stoßen im Reich natürlich auf harsche Kritik selbst von Seiten des Papstes und so muss der Reformator letztlich auch öffentlich erklären, „wie er es mit den Türken hält“.

Für Luther ist die Kirche wie auch die Welt der Vorherrschaft Gottes unterstellt. Die Kirche durch das Evangelium, die Welt durch die gottgegebenen Naturgesetzte. Die Welt lässt sich aber nicht nach dem Evangelium regieren. Deshalb lehnt Luther auch die weltlichen Machtansprüche des Papstes ab. Im Konkreten wird diese Haltung auch in der Luther´schen Sozialethik deutlich. Kirche wie Staat sind beide Gott unterstellt, müssen allerdings vom Menschen klar getrennt voneinander behandelt werden. Und so lebt der Christ eben auch immer in zwei Reichen und muss entsprechende Widersprüche aushalten. So muss der Christ schwören, obwohl er eigentlich nicht darf. Und so muss der Christ auch in den militärischen Krieg ziehen, obwohl er nicht darf. In dieser dichotomen Ethik bleibt er gefangen. Allerdings wird die Welt durch die Naturgesetze Gottes gesteuert und wenn der Christ in weltlichen Angelegenheiten eben diesen folgt, kann er die Widersprüche zum Evangelium mindern. Deshalb darf auch keine weltliche Macht versuchen, Gottes Wille für den eigenen Machtanspruch zu instrumentalisieren. Luther lehrt uns damit die Unterscheidung von Staat und Religion beziehungsweise Recht und Religion. Und aus diesem Grund müssen die Türken zwar militärisch bekämpft werden, aber nicht weil sie Muslime sind, sondern weil sie militärische Aggressoren sind. Für Luther darf der Türkenkrieg also kein Religionskrieg sein.

Und hier setzt auch der Hauptkritikpunkt am Islam an, da dieser in seiner Obrigkeitslehre diese Unterscheidung gerade nicht vornimmt. So war bereits Mohammed Religionsstifter und Staatsmann zugleich. Über dies hinaus gebietet der Koran im Religionskrieg das Töten und besitzt damit für Luther eine völlig unmoralische Kriegsethik. Die Türken bleiben für ihn aber militärische Gegner und sind auch so solche zu bekämpfen. Der Türke als Feind des Reichs und der Muslim als Feind des Christentums sind getrennt voneinander zu betrachten. Dabei polemisiert Luther aber genauso gegen den Papst wie gegen den türkischen Sultan. Wobei der Papst für ihn eine falschverstandene Geistlichkeit verkörpert, während der Sultan die Weltlichkeit falsch versteht.

Luther unterliegt indes zahlreichen religionswissenschaftlichen Missverständnissen, die unter anderem dazu führen, dass Luther den Islam per se als aggressive Religion abtut und ihm unterstellt keinerlei Menschenrechte für Frauen geltend zu machen. Dies hängt allerdings auch mit seinen Hauptquellen zusammen. So übersetzt er „Contra legem Sarracenorum“ von Ricoldo da Monte di Croce (1243-1320). Dieser war ein Orientmissionar, der in seiner Schrift versuchte den Koran zu widerlegen. Martin Luther übersetzte diese Schrift unter dem Titel „Verlegung des Alcoran“ ins Deutsche. Luther will den Koran also in keinem Fall unterdrücken, sondern eher der eigenen Lächerlichkeit ausliefern. Und so affirmiert er auch die erste ernstzunehmende lateinische Übersetzung des Korans aus Basel. Die Leser sollen sich ihr eigenes Bild vom Koran machen, da diese im Gegensatz zu den jüdischen Schriften nicht verführerisch sind, sondern nichts als Spott auf sich ziehen würden.

Allerdings muss Luther durchaus feststellen, dass die militärischen Erfolge für die Türken sprechen und sich damit für viele der Konkurrenzkampf um die einzig wahre Religion auf das militärische Schlachtfeld verlagert hat. Zudem muss er konstatieren, dass es ohne Zweifel Menschen gibt, die sich nach dem Glauben des Islams sehnen. Dies hänge nicht nur mit den Erfolgen ihrer Streitkräfte zusammen, sondern auch mit den verwegenen Aussichten auf die Polygamie mit ihren Frauen. Dabei ist die Aktualität zu gegebenen Motivationen von IS-Kämpfern nicht zu leugnen (s. dazu Abdel-Samad, 2014, S. 129ff.).

Diese kleineren Erfolge der Türken sind genau wie jedes andere Unheil für Luther gottgewollt und nur ein Fingerzeig Gottes auf die Sündigkeit des Menschen. So glaubt Luther wie viele andere auch, dass die Welt kurz vor ihrem Ende steht und der Zeitpunkt der Apokalypse sich über die Sterne sogar exakt berechnen ließe. Und so gibt es auch eine nicht eindeutig historisch zu verifizierende Handschrift Luthers an einer Wand, die besagt: „Der Türke wird im 16. Jahrhundert kommen und ganz Deutschland zerstören“. Die Türken sind demnach endzeitliche Feinde Christi und als solche dem Untergang geweiht. In nachträglicher Reflexion lässt sich jedoch argumentieren, dass die protestantische Bewegung gerade durch die türkische Bedrohung ihren historischen Stellenwert gewinnen konnte. Denn so war Europa und vor allem der Kaiser Karl V. militärisch zu stark mit den Türken beschäftigt beziehungsweise von der militärischen Mithilfe der Protestanten abhängig, als dass sich diese neue widerständige christliche Bewegung zu dem gegebenen Zeitpunkt unterdrücken ließ. Dennoch bleibt in diesem Kontext festzuhalten, dass Luther zumindest nicht explizit die „Türkenkarte“ gegen das katholisch legitimierte Oberhaupt ausspielte und den Kaiser also weiter als rechtmäßigen Herrscher ansah.

Dies lässt sich erneut nur durch seine klare Trennung der zwei Reiche verstehen. Und diese Zwei-Reiche-Lehre soll auch abschließend zentral sein für Überlegungen, die an aktuelle Debatten anschließen. Denn erst wenn wir die Trennung von Recht und Religion konsequent vornehmen, lassen sich in einem interreligiösen Diskurs auch Unterschiede klar benennen. Denn erst durch diese Trennung können wir, ohne den politischen Frieden zu gefährden, auch klare religiöse Differenzen herausarbeiten. Und in der heutigen offenen Gesellschaft, die von einem religiösen Pluralismus geprägt ist, braucht es eben diesen offenen Diskurs. Erst in wechselseitigem Vertrauen darauf, dass religiöse Wahrheiten nicht mit weltlichen Mitteln durchgesetzt werden, können religiöse Gewissheiten gestärkt werden. Das Gegenmodell eines Clash of Civilisations (Huntington, 2011) ist für Ehmann keine Alternative. Wir können uns eine Gesellschaft ohne die unter anderem auf die Reformation zurückzuführenden Freiheiten nicht mehr vorstellen.

Literaturverzeichnis

Abdel-Samad, H. (2014). Der islamische Faschismus. Eine Analyse. München: Droemer.

Ehmann, J. (2015). Luther, Türken und Islam. Eine Untersuchung zum Türken- und Islambild Martin Luthers (1515-1546)  (2. Aufl.). Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus.

Huntington, S. P. (2011). Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert (8. Aufl.). München: Goldmann.

 

Renata Crnoja & Tim Huyeng