"Luther und das Wort"

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Schmiedl. Katholische Reformationsforschung

Im Rahmen der interdisziplinären Ringvorlesung der Universität Koblenz | Landau mit dem Titel »Luther und das Wort«, hat Prof. Dr. Joachim Schmiedl am 3. Mai 2017 am Campus Koblenz einen Vortrag über die katholische Reformationsforschungen im 20. Jahrhundert gehalten. Der Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte sprach über die historische Entwicklung der katholischen Reformationsforschung sowie jene Persönlichkeiten und Ereignisse, die diese in Gang gesetzt haben.

Das katholische Lutherbild steht lange Zeit im Schatten der Kommentare und Urteile des Humanisten und Theologen Johannes Cochlaeus (1479 – 1552). Er verbreitet bereits in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts ein einseitig polemisches Lutherbild und veröffentlicht 1549, also drei Jahre nach dem Tod des Reformators, sein Werk »Kommentare zu den Taten und Schriften Martin Luthers«, in welchem er Luther mitunter als »den Zerstörer der Kircheneinheit«, »skrupellosen Demagogen« und »frechen Revolutionär« bezeichnet. Auf Grund der Darstellungen von Cochlaeus bleibt Martin Luther in der katholischen Perspektive für fast 400 Jahre der Ketzer, »der durch seine Irrlehren unzählige Seelen ins Verderben gestürzt und Elend und Not über Deutschland und die Christenheit gebracht hat, ein Lügner und Blender«, wie Schmiedl aus unterschiedlichen katholischen Schriften zusammenfasst.

Im Jahr 1903 erscheint dann eine gründliche historische Studie des langjährigen Unterarchivars am Vatikanischen Archiv Heinrich Suso Denifle (1844 – 1905), mit dem Titel »Luther und Luthertum«.  Zwar wird Luther auch in diesem Werk beschimpft, aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zu den vorangegangenen katholischen Studien: Mit großem Nachdruck verweist Denifle auf die Wichtigkeit des Studiums der Scholastik zur Interpretation Luthers sowie auf die Bedeutung des jungen Luther für dessen spätere Entwicklung. Schmiedl führt dazu aus, dass einige Gelehrte die Studie zwar zu recht als »moralische Hinrichtung Luthers« bezeichnen, ihm aber dennoch eine große Bedeutung zukommt, da sie zwei entscheidenden Fragestellungen ins Rollen gebracht hat: die religiöse Entwicklung des jungen Luthers sowie sein Verhältnis zur Scholastik. Die Erforschung dieser beiden Fragen hat zu einem erheblichen Teil zur Revision des katholischen Lutherbild beigetragen und die evangelische Forschung animiert, die Selbstaussagen des späten Luther zu überprüfen und ihn mehr aus seinen katholischen Voraussetzungen heraus zu begreifen.

Durch den Kirchenhistoriker Joseph Lortz (1887 – 1975) erscheint ab 1939 die wohl beste katholische Gesamtdarstellung der Reformation und er leitet mit seinen Werken »Kirchengeschichte in ideengeschichtlicher Betrachtung« und dem zweibändigen »Die Reformation in Deutschland« eine Wende ein, die sowohl von Katholiken als auch Protestanten als richtungsweisend angesehen wird. Lortz unterscheidet trennscharf zwischen der historischen und dogmatischen Beurteilung Luthers und sieht die Ursachen für die Kirchenspaltung zu einem erheblichen Teil bei der Kirche selbst (theologisches Versagen, Ablasshandel, Niedergang der geistlichen Lebensführung).

Angesichts dieser Missstände erkennt Lortz das Recht und die Notwendigkeit der Reformation, betrachtet Luther aus einer völlig neuen Perspektive, nämlich als homo religiosus, und wird damit zum Wegbereiter für einen ökumenischen Dialog zwischen den beiden größten christlichen Konfessionen.

Der Kirchenhistoriker Erwin Iserloh (1915 – 1996) setzt dann als ehemaliger Schüler von Lortz seine Gedanken und Thesen fort und geht sogar noch einen Schritt weiter. Bei einem Fachvortrag an der Mainzer Gutenberg-Universität am 8. November 1961 stellt er öffentlich ein Ereignis infrage, dass für viele Protestanten als Symbol der Reformation schlechthin gilt und bis zu diesem Zeitpunkt noch nie angezweifelt worden war: den Thesenanschlag. Mit Quellen belegt er, dass die 95 Ablassthesen Luthers zwar am 31. Oktober 1517 ausgefertigt und abgeschickt, aber keineswegs mit großer Pose am Portal der Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen worden sind.

Iserloh entfacht damit eine Debatte, die sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene diskutiert wird. Schmiedl hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die Stoßrichtung dieser Infragestellung nicht missverstanden sein darf, sondern dass es Iserloh primär darum gegangen ist, die legitimen Anliegen Luthers zu unterstreichen. Die Thesen von Iserloh treiben die katholische Reformationsforschungen weiter voran, gestützt durch die Agenda des Zweite Vatikanische Konzils (1962 – 1965).

Ab diesem Zeitpunkt entsteht eine katholische Reformationsforschung, welche ein umfassenderes Bild des Reformationszeitalters im Blick hat und Luther als ernsten, religiösen Mensch beschreibt. Mit der Fokussierung auf die Grundlagenforschung rückte auch die Möglichkeit einer Annäherung der beiden Konfessionen in den Raum, welche sich nach Schmiedl beispielsweise 1979 in dem Symposium lutherischer und katholischer Theologen zur Erinnerung an den Augsburger Reichstag 1530 zeigt oder in der »Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre«, welche 1999 von Vertretern des Lutherischen Weltbunds sowie der römisch-katholischen Kirche unterzeichnet worden ist. All diese Ereignisse gründen letztlich in den Studien von Lortz und seinen Nachfolgern und auch der Besuch von Papst Benedikt XVI. im Augustinerkloster in Erfurt im Jahr 2011 ist als ein Ergebnis dieser Vorarbeit zu sehen.

Dieses kleine Panorama der Reformationsforschung macht deutlich, dass diese von katholischer sowie evangelischer Seite weiter betrieben werden muss, weil sie neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen noch einen anderen, äußerst positiven Nebeneffekt mit sich bringt: den stetigen Austausch beider Seiten. Damit trägt sie einen erheblichen Teil zur ökumenischen Verständigung bei und kann gerade jetzt im Jahr 2017, dem 500. Reformationsjubiläum, dazu beitragen, im Sinne einer Ökumene weiter Brücken zu bauen.

 

A.Knickmann