"Luther und das Wort"

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Mennecke: Hier stehe ich…

„Hier stehe ich…“ – zur Karriere eines Luther-Wortes – Vortrag von Ute Mennecke vom 10.05.2017

Mitte April 1521:  Martin Luther muss im Wormser Reichstag vor dem Kaiser sprechen.

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    Luther vor dem Reichstag in Worms, Anton von Werner (1843-1915), Staatsgalerie Stuttgart (Wikimedia Commons)

    Tag: Der Kaiser stellte Luther bei der ersten Zusammenkunft zwei Fragen. Erstens, ob Luther die Verfasserschaft seiner vorherigen Bücher anerkenne – Luther antwortete mit ja. Zweitens, ob er Etwas widerrufen wolle. Für die Antwort dieser Frage erbat Luther um eine Nacht Bedenkzeit.

  2. Tag: Luther bringt seine Rede vor und verweigert dem Widerspruch seiner Worte.
  • Es gibt ein Fragment eines Autografes von Luther (Autorenschaft 100%ig gesichert). Die Rede Luthers wurde schnell und zielstrebig veröffentlicht und gedruckt. Damit schützte sich Luther vor Verleumdungen und stillte das große öffentliche Interesse.
  • Es gibt kein offizielles Protokoll des Reichstages, welches als Überlieferung dienen könnte.

Diktum: „Da also eure Majestät und eure Stände eine Antwort erbitten, werde ich eine solche weder gehörnte noch gezackte geben, und zwar folgendermaßen: Wenn ich durch Schriftzeugnisse oder einen klaren Grund widerlegt werde – denn allein dem Papst oder den Konzilien glaube ich nicht, da es feststeht, dass sie häufiger geirrt und sich auch selbst widersprochen haben –, so bin ich durch die von mir angeführten Schriftworte bezwungen. Und solange mein Gewissen durch die Worte Gottes gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, weil es unsicher ist und die Seligkeit bedroht, etwas gegen das Gewissen zu tun. Ich kann nicht anders, hier stehe ich. Gott helfe mir. Amen.“

Es entstehen vier Drucke, die aber alle auf unterschiedlichen Handschriften beruhen. Nur der Druck aus Wittenberg von 1521 enthält das Diktum „Hier stehe ich und kann nicht anders“. Die größte Verbreitung findet zunächst die Version ohne das Diktum. Luthers Diktum geht ausschließlich aus dem Wittenberger Druck hervor, welcher im 17. Jahrhundert in die Werke Luthers übernommen wurde. Erste Zweifel am Diktum bringt C.H.H. Burkhardt auf. Bis dahin galt Luthers Diktum als Faktum.

Die quellenkritische Lutherforschung stellt in den letzten hundert Jahren fest, dass es unwahrscheinlich ist, dass der Wittenberger Druck, dem das Diktum entspringt, fehlerhaft ist, von anderen Überlieferungen abweicht und im Vergleich eher spät erschien. Diese Tatsachen machen den Druck unglaubwürdig. Es wird zunehmend angenommen, dass es sich bei den Schlussworten „Hier stehe ich und kann nicht anders“ um eine Erweiterung des Originaltexts handelt. Außerdem wurde von eingen Kritikern angemerkt, es läge bei dem Diktum eine zu große Konzentration auf dem „ich“.

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Luther-Denkmal in Worms mit Diktum: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helf mir. Amen.“ne Beschriftung ein

Die Problematik der eindeutigen Überlieferung besteht darin, dass weder eine richtige Quellenüberlieferung noch eine Anwesenheitsliste der Zusammenkunft existiert. Die einzige Überlieferung eines Anwesenden im Zusammenhang mit einer Niederschrift des Gesagten stammt von Luther selbst. Luther Worte wurden von ihm in Ich-Form verfasst und anonym veröffentlicht. Die zielstrebige Informierung der Öffentlichkeit ist in der Veröffentlichung zu lesen und demnach sei klar zu interpretieren, dass diese Worte von Luther geschrieben und gesprochen wurden.  Es gibt in mehreren Überlieferungen von Luthers Worten Hinweise auf eine Verwendung des Wortes stehen. Im Neuhochdeutschen hat „stehen“ noch eine sehr starke Bedeutung und gilt als sehr absolut. Es ist nicht nur das physische stehen gemeint, sondern auch das geistige stehen, was also stark sein, Stand halten, Widerstand halten bedeutet. Auch kann das Stehen an dieser Stelle als Luthers Standhaft-Bleiben gegenüber Versuchung der Forderung Widerspruch nachzugeben, verstanden werden. Im Römerbrief 11,20 heißt es außerdem:

Ganz recht! Sie wurden ausgebrochen um ihres Unglaubens willen; du aber stehst fest durch den Glauben. […]

Des Weiteren könnte uns das Diktum an den historischen Luther heranführen, eben nur nicht quellenkritisch. So ähnelt das Diktum doch der damals von Luther gebrauchten Sprechweise. So predigte Luther beispielsweise, auf seiner Reise nach Worms am 7.4.1521: „Ich wil die warheit sagenn unnd muß es thun, darum stehe ich hie und nym nicht gelt darumb“ (WA 7, 812). Diese überlieferte sprachliche Gestalt spricht durchaus dafür, dass es so gesagt wurde und die Überlieferung korrekt ist. Das Wormser Luther-Diktum führt sprachlich und theologisch nah an Luther-Ansichten heran. Da es aber keine eindeutigen Überlieferungs-Beweise gibt, können wir heute nur vermuten, ob dieses Diktum von Luther selbst kommt oder ihm in den Mund gelegt wurde.

I. Tanita Zeien und Inga Girmann